Ständig ist die Rede von der Krise der Zeitungen und Zeitschriften alias Print-Presse. Doch nur die „One Size Fits All“-Publikationen stecken wirklich in der Krise. Zeitungen und Zeitschriften die es jedem Recht machen wollen und am Ende nur den kleinsten gemeinsamen Nenner liefern und statt Nachrichten zu bringen nur Angst verbreiten. Die Panikmache wegen der Schweinegrippe ist erst seit Kurzem vorbei.
Erst am Wochenende habe ich eine Ausgabe Tagesspiegel gratis in den Briefkasten gesteckt bekommen. Dieser Print-Spam landete sofort im Müll.
Allerdings schrie mir schon die Schlagzeile auf der ersten Seite zu „159 Tote in Indien beim Flugzeugabsturz“ oder ähnlich. Genau deswegen will Niemand diesen Müll lesen. Es ist eine ungeheure Papierverschwendung. Wer will sich das denn freiwillig Tag für Tag geben? Die schlimmsten Katastrophen und Hiobsbotschaften täglich zum Frühstück? Das treibt doch jeden gesunden Menschen zum Nervenarzt.
„Je schlimmer desto besser“ scheint das Motto bei Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Wochenmagazinen zu sein. Deswegen lese ich diese längst nicht mehr.
Stattdessen lese ich einige Nischen-Publikationen. Da bin ich übrigens nicht allein wie Statistiken zeigen. Ausserdem steigt die absolute Zahl der Magazine die teils in Kleinstauflage herausgegeben. Heute möchte ich mich aber mit drei neuen Zeitschriften oder Magazinen widmen die dieser Schwarzmalerei bravourös widerstehen.
- Nido
- RT/Retrotrend
- Business Punk
Alle drei Magazine richten sich zwar an ein bestimmtes Publikum, der Begriff Nische ist aber fast schon zu klein für sie. Von der Nido gibt es bereits 4 Hefte, RT/Retrotrend hat gerade die zweite Ausgabe am Kiosk. Auch vom Business Punk liegt bereits Nummer 2 beim Zeitschriftenhandel. Ich weiß nicht wie es in der Provinz aussieht wo es meist nur BILD und Spiegel gibt aber in Berlin gibts die Nido an jeder Ecke, teils mit großformatigen Plakaten beworben. RT/Retrotrend bzw. Business Punk müssen schon etwas bewusster gesucht werden, aber auch dafür muss kein Mensch extra zur Bahnhofsbuchhandlung gehen.
Alle drei Titel sprechen eine große Zahl von Menschen an, jedoch vor Allem solche die lesen und sich Zeitschriften auch leisten wollen.
Allen drei ist gemeinsam: Sie greifen ein Thema auf, das woanders so, in der Form, nicht behandelt wird. Klar gibt es Magazine für oder über Eltern und auch Design-Magazine gibt es etliche, ebenso wie Wirtschaftsmagazine. Doch die drei schaffen ihre Themen in einen einzigartigen Kontext zu setzen.
Die Nido stammt aus der selben Werkstatt aka Redaktion wie Neon, seinerseits Verlängerung des Stern. Die Geschichte dahinter scheint zu sein: Die Neon-Redaktion ist schlicht älter geworden, hat Kinder bekommen und gemerkt, dass sie nicht mehr eine Bravo für Twens machen können wenn sie selber über 30 sind und statt zu Parties zu gehen Windeln wechseln. Nicht das Neon schlecht wäre, im Gegenteil, das Magazin ist über die Jahre besser geworden.
Trotz dem ganzen Lifestyle-Gehabe, sie haben sich Ernsthaftigkeit und eine seriösen Journalismus bewahrt. Sie gehen auch dahin wo es weh tut. Das tut Nido nun auch, vornehmlich nach Afrika, dafür mit weniger Lifestyle. Die Nido verabschiedet sich auch von Augenschmerzen verursachenden Cover-Farben der Neon und da dürfen auch normal aussehende Menschen aka Eltern drauf. Das war eine große Erleichterung. Bei Nummer 4 ist allerdings schon ein Model zu sehen mit einem Baby. Diesem Mädchen das so dünn ist wie eine Barbie nehme ich nicht ab jemals schwanger gewesen zu sein. Das Baby ist wohl nur ausgeliehen.
Inhaltlich hat die Nido eine ausgewogene Mitte gefunden zwischen langen Reportagen, kurzen Notizen und Artikeln aller Art die irgendwo dazwischen anzusiedeln sind.
Selbst die heutzutage scheinbar obligatorische Modestrecke die sonst eher nervt wirkt weniegr peinlich als woanders. Nido gibt auch offen zu Produkte pushen zu wollen. Die Sponsoren, denn das geht heute über Werbung schon weit hinaus wählen ihre Publikationen ja danach aus ob ihre Anzeige direkt neben dem Beitrag über ihr Produkt steht.
Trotz Allem, Nido ist die ideale Lektüre für moderne Eltern die etwas über den Tellerrand schauen wollen.
In den schlechteren Momenten schafft Nido nur die wohlhabende Berlin Prenzlauer Berg Klientel zu bedienen. In den guten zeigt Nido wie vernünftiger Journalismus heute funktionieren kann. Das Elend muss weder in Gala-Manier völlig ausgeblendet werden noch wie bei der BILD zelebriert, aber lesen sollte einen konkreten Zugewinn bedeuten, ein Mehr an Wissen. Das klappt derzeit noch, trotz Magersucht-Model auf dem Cover.
RT/Retrotrend hat auch ein völlig missglücktes Cover, es sieht aus wie eine Fußballzeitung, dabei steht da nicht wirklich was über Fußball drin. Das Magazin bietet aber einen anderen Zugewinn: Es vermittelt Werte. Retro klingt nach Nostalgie. Die RT/Retrotrend schafft es den Geist vergangener Zeiten auf heute zu übertragen, ohne fehlgeleiteten Konservatismus.
Auch wenn der Spruch „früher war alles besser“ immer zwischen den Zeilen steckt habe ich beim Lesen nie das Gefühl hier werde wahllos glorifiziert.
Es geht RT/Retrotrend nicht darum „von gestern“ zu sein sondern das Gute von früher zu bewahren, seien es Schallplatten aus Vinyl, Fahrräder aus Stahl oder Design von Braun. Letzteres wird ja bekanntlich immer wieder gerne von Apple kopiert.
Immer haben die Artikel eien aktuellen Bezug, ob nun Schalplatten wieder Millionenfach verkauft werden, Fahrräder von früher als Fixies in Handarbeit wieder hergerichtet werden oder eine Ausstellung der arbeiten von Dieter Rahms in Europa unterwegs ist.
Das ist eben der Trend aus dem Namen, es wird eine Brücke zwischen heute und gestren geschlagen. Ein Unterfangen das dem zeitgeist sehr sympathisch ist.
Auch Business Punk versucht Brücken zu schlagen, aber nur im Titel. Der Titel verspricht viel, die wohl interessanteste Zeitschrift zum Thema Wirtschaft seit der Brand Eins. Doch leider ist Business Punk viel mehr Business als Punk. Der Untertitel suggeriert es bereits: „Work hard play hard“.
Hier geht es darum auch in der sog. Freizeit hart an seiner Karriere zu arbeiten, vorzugsweise mit den Kollegen.
Drei der wichtigsten Artikel der aktuelle Ausgabe sind von diesem Leitthema getragen. Heutzutage macht eben nur der Karriere der auch nachts und zu hause mit dem Chef voll einen drauf macht, egal ob beim Saufgelage oder den anderweitig durchwachten Nächten, denn nach der Arbeit ist vor der Arbeit, da bleibt man am besten gleich zusammen, am liebsten in der gemeinsamen WG.
Das ist eh das was heutzutage abverlangt wird. Die sog. Digitale Boheme macht nichts anderes seit Jahren. Interessanter wäre gewesen über die Lebensentwürfe zu lesen die ein wenig mehr Punk sind und dennoch Geld verdienen oder gar das Business machen. Da würden mir gleich 10 Beispiele einfallen. Selbst die Nido hat einen solchen Artikel gebracht über Jemanden der seine Erledigungen an einen virtuellen Assistenten ausgelagert hatte.
Überhaupt könnten alle drei Publikationen sich eine Scheibe von den anderen Neulingen abschneiden.
Denn heutzutage gehören wir allen drei Zielgruppen an. Als Eltern sind wir ständig geschäftlich unterwegs, das Netbook oder Smartphone neben der Schippe und dem Eimer immer dabei. Zudem sehnen wir uns alle nach den einfachen Dingen von früher und versuche diese in unseren hektischen Alltag unterzubringen. Auch die Kinder konfrontieren uns immer wieder mit unserer eigene Kindheit. Doch wer 80h die Woche arbeitet und weiter 40 mit Kollegen feiert, für den bleibt nichts davon übrig.
Der Business Punk hat eine Geschichte die mich richtig gefesselt hat, die über Medienmogul Robert Murdoch und seinen Plan die New York Times zu vernichten. Journalistisch gesehen ein Juwel. Geht doch. Nur eben mehr Punk bitte. Das war eher Business Pop.
6 Reaktionen ↓
1 Marni // 2. 10. 2010 um 19:53
Vielen Dank für den Artikel über zwei meiner Lieblingsmagazine! Die Business Punk (Pop) kannte ich noch nicht, habe ich mir aber bestellt. Sehr gut! Danke!
2 Axel Porsch // 4. 10. 2010 um 07:27
Ja Tadeusz, das RT Magazin hat sich wohl leider erledigt. Die Erlöse aus Anzeigen und Vertrieb haben nicht ausgereicht, um die nächsten Ausgaben zu produzieren. Schade, es gab eine Menge schöner Artikel. Es war ein „nice to read“ Magazin und darum werde ich mir die erschienenen beiden Ausgaben vorerst aufheben und noch ab und zu drin blättern.
Eine breite wirtschaftliche Basis für solche Nischen-Produkte im Printbereich zu erreichen, wird immer schwieriger.
3 zeitgeist // 4. 10. 2010 um 17:26
Marni: Gern gschehen! Lohnt sich auf jeden Fall, trotz der ziemlich Kritik-losen Darstellung. Sehe gerade es scheint es gab nur ein Heft…
4 zeitgeist // 4. 10. 2010 um 17:28
Axel: Das ist ja schade. Ich fands gut. Für so ein Projekt braucht es aber einiges an Startkapital denke ich. Für die ersten Paar Monate wird es sicher noch nicht genug Anzeigen geben.
Die Basis muss eben nicht breit sein, in der Nische genügen die sog. „1000 true fans“. Wenn die Anzeigen schalten etwa oder wie bei TAZ sich beteiligen…
5 enorm Magazin für anderes Wirtschaften // 5. 10. 2011 um 17:00
[…] konkret vor Ort dargestellt, da wo es funktioniert und auch da wo nicht. enorm ist der eigentliche Business Punk. {lang: 'de'} […]
6 Das Hollandrad erobert die Welt // 27. 9. 2012 um 15:24
[…] Wenn es in den letzten Jahren einen gemeinsamen Nenner bei der Entwicklung von Fahrrädern gab dann war es der Trend zu retro. […]